Klassentreffen nach 44 Jahren
Lehrer Haßler war der Stargast beim Wiedersehen
Schüler der Sperberschule trafen sich nach 44 Jahren - Viele blieben Nürnberg treu
Von Harald Huter
Über 44 Jahre ist es her, seit im Sommer 1952 etwa 70 Knaben der Geburtsjahrgänge 1937 und 1938 an ihrem letzten Schultag die massiven Flügeltüren der Sperberschule zum letzten Mal mit dem gebotenen Schwung zuknallten, um mit ihren Abschlusszeugnissen in der Hand ins Berufsleben zu starten. Etwa 50 davon haben sich nun, mittlerweile mit ihren 58, 59 Jahren vor dem Rentenalter stehend, zusammen mit einem ihrer Lehrer wiedergetroffen.
Mädchenklasse im behelfsmäßig renovierten Klassenzimmer
(23.01.1950 Fotoarchiv Nürnberg)
"Keiner kennt mich", murmelt der stattliche Herr mit dem grauen Haar leicht ratlos, als er vergebens die vielen fremden Gesichter im Festsaal der Gaststätte "Waldschänke" nach bekannten Zügen durchforstet, "aber ich kenne auch keinen". Nach kurzer Zeit löst sich jedoch unter den achtbaren Endfünfzigern, die allesamt zwischen 1948 und 1952 die Sperberschule besuchten, die erste Anspannung. Hier und dort wird ein Schlips gelockert, ein Hemdkragen geöffnet. Befreites Lachen an vielen Tischen, Schulterklopfen und fröhliche Gesichter. "Ja wie ist es denn dir ergangen?" und "Erinnerst du dich noch?" sind die Standardfragen des Abends.
Die überwiegende Mehrheit der Sperber-Knaben ist auch im späteren Ausbildungs- und Berufsleben der Heimatstadt treu geblieben. Nur wenige haben Nürnberg verlassen, um in der Fremde ihr Glück zu versuchen. Einer davon ist Hans Gugel aus Grafenwöhr, der als Metzgermeister den völlig veralteten" Fleischereibetrieb seines Vaters in Grafenwöhr zu übernehmen hatte. Vom Südstadt-Lausbuben zum angesehenen Unternehmer: Heute gilt die Gugel GmbH als größter privater Arbeitgeber in der oberpfälzischen Grenzregion.
Karriere hat aber auch der rührige Organisator des Klassentreffens gemacht. Nach einer Lehre als Schaltmechaniker und der Ableistung des Wehrdienstes fand Alfred Bock sieben Jahre nach der Schulentlassung einen Arbeitsplatz bei Siemens in Erlangen. Schon früh setzte sich der Mechaniker für die Interessen seiner Kollegen ein und wurde 1968 in den Betriebsrat der Firma gewählt. Als Alfred Bock im Oktober 1994 mit allen Ehren in den Vorruhestand verabschiedet wurde, konnte er auf eine zehnjährige Tätigkeit als Betriebsratsvorsitzender und sieben Jahre Sitz im Aufsichtsrat des Unternehmens zurückblicken. Im Juli 1995 wurde der engagierte Arbeitnehmervertreter mit der Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. Heute kann sich Bock, der in St. Jobst wohnt, mit seinen Hobbys Fotografieren, Briefmarkensammeln und dem Tüfteln am Heimcomputer unbeschwert die Zeit vertreiben.
"Stargast" des Abends ist jedoch unangefochten der damalige Lehrer der munteren Sperberstraßen-Rasselbande: Ludwig Haßler aus der Hallerhüttenstraße. Der heute 82jährige Pädagoge, seit 1977 im Ruhestand, wird von seinen Schülern mit allen Ehren und ''Standing ovations" willkommen geheißen. Tonmeister Werner Lautner - 33 Jahre an den Städtischen Bühnen tätig und mit seiner "Mireille Mathieu-Nummer" begehrter Hobby-Travestiekünstler - hat tief in seine Trickkiste gegriffen und ein paar monumentale Takte aus Richard Strauss' "Also sprach Zarathustra" zur Begrüßung des Paukers eingespielt, der an der Sperberschule 25 Jahre lang die Oberklassen unterrichtet hatte. "Ich habe vor euch allen großen Respekt', wendet sich Lehrer Haßler an seine ehemaligen Schüler, "denn ihr habt offensichtlich euer Leben trotz so mancher Nackenschläge mit Bravour gemeistert."
Zusammen mit dem vitalen und sprachgewandten Pädagogen ergeht man sich in Erinnerungen an die Schulzeit. An Fliegeralarme beispielsweise ("Die näher an der Schule wohnten, durften nach Hause flitzen. Die anderen mussten in den Keller") oder das regelmäßige "Kältefrei" in den ersten Nachkriegswintern, in denen niemand Kohlen hatte, um den Kanonenofen im Klassenzimmer anzuschüren. Aber auch an den erzieherischen Effekt des zischenden Rohrstocks auf die Schülerhintern, der in den vierziger und fünfziger Jahren noch oft und gerne von den Lehrern gebraucht worden war Ausgenommen ist ausdrücklich Lehrer Haßler, dem man für seine ruhige und besonnene Art nachträglich dankt: "Der hat uns", hört man es raunen, "nur manchmal an den Ohren gezogen und strengen Blickes gefragt: Na, wie alt simmer denn?".
Legendär auch die Wandertage mit Ludwig Haßler, der seine Marscherfahrungen im Rußlandfeldzug nahtlos in seine pädagogische Arbeit einfließen ließ: "Wir sind auf allen vieren hinter dem Haßler hergekrochen, so kaputt waren wir", erinnert sich einer an einen "kleinen Ausflug" von Aufseß nach Staffelstein. Nach Auskunft der Tourismuszentrale Fränkische Schweiz handelt es sich hierbei, je nach eingeschlagener Wanderroute, locker um eine Entfernung von 40 bis 50 Kilometern.
Das Freizeitverhalten der 13- bis 15jährigen aus den fünfziger Jahren unterschied sich gewaltig von dem heutiger Generationen. Ohne den Fernseher überhaupt zu vermissen, ergingen sich die Knaben im "Fußballspielen auf Kellerfenster-Tore" und im sagenumwobenen "Wäbbeln". Kein Trümmerhaufen und keine schwarzbrandige Schulhauswand war sicher davor, als profaner Pfennigprellbock zu dienen. Wer mit seinem Kupferstück am nähesten an der Barriere zum Liegen kam, hatte gewonnen und durfte alle anderen Pfennig einbehalten. Nach einem ähnlichen Prinzip funktionierte das Schussern, das jedoch als "Mädchenspiel" verpönt gewesen sein soll. Die Jungs gingen damals schon lieber mit harter Währung als mit bunten Kugeln um.
Alfred Bock bleiben die Jahre an der Sperberschule als eine "unbeschwerte Zeit" im Gedächtnis. "Wir lebten in Armut und Not, aber hatten alle Hoffnung auf eine bessere Zukunft." Die Zeiten, in denen den Schülern im Zeugnis noch ihre "deutschblütige Abstammung", wohnhaft in der "Stadt der Reichsparteitage", bescheinigt wurde, waren für immer vorbei. "Unser Blick richtete sich auf das Morgen, das uns in sonnigsten Farben entgegenstrahlte."
Quelle: Nürnberger Nachrichten vom 23.10.1996, Süd-Ost-Anzeiger