2009-07-14 Olli Kahn auf Motivationstour
«Olli» Kahn auf Motivationstour
Handschlag vom Welttorwart: Oliver Kahn begrüßt Sperberschüler in der Südstadt. Foto: Michael Matejka
© NÜRNBERGER NACHRICHTEN
NÜRNBERG - Ex-Nationaltorwart Oliver Kahn in der Sperberschule: Mit der «Ich schaff’s Tour», einem Motivationsprogramm für Elf- bis 16-Jährige, war der Keeper gestern in der Südstadt.
Ein kleiner, weißblonder Bub hat die Patschhändchen fest um eine blaue Weltkugel aus Plastik geschlossen. Sein Blick auf dem Foto ist ernst, als ahne er, dass der Ball einmal die absolute Hauptrolle in seinem Leben spielen würde. Das Kinderbild des kleinen Kahn steht noch auf der Leinwand, als der große Kahn langsam mit wiegendem Seemannsgang auf die Bühne kommt. «Auch du kannst es schaffen», das sagt das Foto hinter ihm - und das ist die Botschaft, die den 400 hippeligen Grund- und Hauptschülern im Saal während der kommenden 90 Minuten mundgerecht serviert wird.
Ein Viertel ist ohne Lehrstellen
Die Sperberschule ist eine Schule mit 80 Prozent Migranten in den Klassen. 35 Prozent der Absolventen haben heuer eine Lehrstelle oder einen Platz an einer Berufsfachschule. Zehn Prozent schaffen es auf eine weiterführende Schule, doch weit über ein Viertel steht ohne da, obwohl sich die Lehrer bewunderungswürdig abstrampeln mit Sport- und Musikprojekten, mit Lernoffensiven und Ganztagsbetreuung - und jetzt eben mit «Olli» Kahn.
Der 1,88-Meter-Hüne mit den 557 Bundesligaspielen und einer unbekannten Anzahl von Millionen auf dem Konto schiebt sich durch die Reihen, während eine Hand nervös die andere massiert, als fühle er sich ohne die weißen Torwarthandschuhe auch ein Jahr nach seinem Abschied immer noch ein wenig nackt.
Nach ihren Ideen, ihren Zukunftsvisionen fragt der 40-Jährige die Jugendlichen. Anfangs zögernd, offenbaren sie sich dann doch am Saalmikrofon: Ronja will Reitlehrerin werden, Fatma mit dem Kopftuch Ärztin und Ahmet, logo, ein Profifußballer.
Krassester Wunsch: Hartz-IV-Empfänger
«Das Krasseste», was er auf der vom Kinderschutzbund getragenen und von einem Energieversorger gesponserten «Ich schaff’s Tour» mal zur Antwort bekommen habe, sei der Berufswunsch «Hartz-IV-Empfänger» gewesen. Spricht der Star, der Abi machte und dann schnell bei den Profis auf der Ersatzbank saß. Manchmal habe er sich gefragt, ob es sich lohne, «mich immer wieder in den Dreck zu schmeißen», sagt Kahn und pickt sich den nächsten «Schritt zum Erfolg» vom Spickzettel. Was hat man von der Schinderei? Was davon, sich immer wieder an den nächsten Schritt zu wagen? Geld, Stolz, viel Geld, kommt es aus Kindermund, und der Meister fügt noch «die Wertschätzung anderer» hinzu.
Ein Stoff, von dem er in 20 Profijahren wahrlich genug hat tanken können, wenn böse Fans nicht gerade Bananen nach ihm warfen oder Jens Lehmann ihm den Job als WM-Torhüter wegschnappte. «Das tut weh, das tut richtig weh», sagt der Welttorhüter und warnt die Schüler, Unerreichbares anzupeilen. Ob Hauptschülerin Fatma eines Tages Ärztin sein wird? Und der kleine Ahmet Fußballprofi? Auch er habe sich mühsam von Niederlage zu Niederlage, von Erfolg zu Erfolg hocharbeiten müssen, ohne gleich alles zu stemmen. Obwohl, sinniert Oliver Kahn plötzlich, «Hollywoodstar, das hätte ich vielleicht auch schaffen können».
Volle Aufmerksamkeit
Der Mann, dessen Autobiografie «Ich. Erfolg kommt von Innen» heißt, leidet nicht unter mangelndem Selbstwertgefühl, wie er es bei Hauptschülern häufiger konstatiert. Beim Pressegespräch vorab hat er die Journalistin, die sich schreibend über ihren Block beugte, angeherrscht, sie müsse schon zuhören, wenn er antworte. Kahn verlangt volle Aufmerksamkeit - die 400 Schüler im Saal geben sie ihm, hängen an seinen Lippen.
Immer wieder werden Filmchen eingespielt, Kahn im Hechtsprung, Kahn verzweifelt auf Knien, Kahn im Freudentaumel am Spielfeld. Die Motivationstour ist eine perfekte Show, doch sie soll mehr sein, soll «nachhaltig» sein, darauf besteht Schulleiter Thomas Reichert. 25 Lehrer(innen) werden jetzt schrittweise von Beratern der «Ich schaff’s Tour» fortgebildet.
Sie müssen den Kindern beibringen, die Flinte nicht ins Korn zu werfen, obwohl deren Chancen statistisch so viel schlechter stehen als die des Nachwuchses aus bildungsnahen Kreisen. Dass ein kleiner Rennfahrer in spe als ersten Schritt zur Karriere plant, fleißig an (illegalen) Straßenrennen teilzunehmen, wird sich wohl noch auswachsen.
Claudine Stauber
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