Volksschule 1905 - 1914
Staatliche Schulaufsicht und Schulleitung
Die Volksschule untersteht hinsichtlich Schulaufsicht und Schulleitung dem Staat (konstitutionelle Monarchie im Rahmen des 1871 geeinten deutschen Reiches) finanzrechtlich der Gemeinde. Darüber hinaus entfalten die Städte auch auf dem Gebiete der Stellenbesetzung, der Förderung des Unterrichts und der Erziehung eine rege Tätigkeit (organisatorischer Aufbau, Weiterbildung der Lehrerschaft, soziale Maßnahmen für Schule und Schüler, Lehr- und Lernmittel).
Oberste Aufsichtsbehörde ist das Ministerium für Kirchen- und Schulangelegenheiten. Die örtliche Aufsicht wird durch die Lokalschulkommission unter Vorsitz des 1. Bürgermeisters, sowie durch die Schulinspektoren wahrgenommen. In Nürnberg sind für die Inspektionsbezirke der Simultanschule (= beide Konfessionen werden zusammen unterrichtet) fachmännisch vorgebildete und für die protestantischen und katholischen Bezirke geistliche Inspektoren aufgestellt. In den Schulen sind seit 1905 Lehrerobmänner tätig, die nach der Dienstordnung vom 10. 1. 1905 die kgl. Bezirks-Inspektion und die magistratischen Schulpfleger in den Geschäften des äußeren Schulbetriebs unterstützen.
Unterricht und Schulleben
Die durchschnittliche Schülerzahl der betrug 1905 52 Schüler. Dem Unterricht liegt der Lehrplan von 1877 mit mehrfachen Abänderungen zugrunde. Es fehlten u. a. noch: Werkunterricht (1905 besucht der spätere Schulrat Wolfinger das Leipziger Seminar für Handarbeit), Hauswirtschaft, Sozialkunde und Englische Sprache.
Um die Jahrhundertwende erfuhren vor allem die neu eingeführten musischen und gymnastischen Fächer besondere Förderung, unter anderem durch die Aufstellung von Fachinspektoren. Das Turnen nahm damals einen beachtlichen Aufschwung. Bis 1912 entstanden z.B. 36 stadteigene Turnhallen und 10 Kinderspielplätze (der erste wurde schon um 1870 im Graben am Maxtor angelegt).
Die Entlassung aus der Volksschule erfolgte nach 7jährigem Schulbesuch und nach dem Bestehen der Jahresabschlussprüfung. Das 8. Schuljahr war für Knaben bis 1912 und bei den Mädchen bis 1919 noch freiwillig (bestand seit 1896). Für Stotterer liefen besondere Kurse. Für Zeichnen, Turnen und Handarbeit wurden Aufsichtslehrer bestellt. Der Schulgarten am Frauentor wurde eifrig besucht.
In hygienischer, sozialer und sozialpädagogischer Hinsicht wurde schon gesorgt:
durch Ferienkolonien (seit 1881), private Jugendhorte (seit 1884), durch Wärmestuben, warmes Frühstück und Mittagessen, durch ,, Ferien-Spaziergänge" und besonders durch die schulärztliche Betreuung.
Lehrer, Eltern und Schüler — Lehrerweiterbildung
Im Schuljahr 1904/1905 unterrichten an der Volksschule 577 Lehrer, 68 Verweser, 4 Hilfslehrer, 21 Lehrerinnen, 15 Verweserinnen, 7 Hilfslehrerinnen, insgesamt 692 Lehrkräfte, Das vorgeschriebene Stundenmaß beträgt für den Lehrer in den unteren 4 Klassen 28, in den 8. Klassen 22, in den übrigen 26 bzw. 27 Stunden. Die öffentlichen Schulprüfungen sind seit 1887 durch die unangesagten Schulbesuche des Stadtschulrats, des Stadtschulinspektors und der Schulinspektoren ersetzt (1904/05: 44 Schulbesuche, 133 außerordentliche Prüfungen, 73 ordentliche Prüfungen).
Gem. § 9 der Satzung vom 17. 11. 1906 beträgt der Jahresgehalt einschließlich staatlicher Dienstalterszulage für Lehrer zwischen 2280 und 4200 RM, Lehrerinnen 1740 bis 2940 RM, Verweser 1650 RM, Verweserinnen 1350 RM, für Hilfslehrer 1200 RM, Hilfslehrerinnen 1080 RM, Handarbeitslehrerinnen 960 bis 1500 RM. Hinzu kommen noch Ortszuschlag und Kinderzuschläge. Bis zum ersten Weltkrieg werden nur unverheiratete Lehrerinnen verwendet.
Um die Schulpflege nehmen sich die magistratischen Pfleger bei den Bezirksinspektionen und die genannten Stellen der Aufsicht und Leitung an. Eine ,, Schulpflegschaft besteht bis zum ersten Weltkrieg nicht.
Die 1904 begonnenen Zeichenübungen für Lehrer setzt Kgl. Prof. Schnell 1905 fort (ab 7. 10. jeden Samstagnachmittag). Die Frage der Kunsterziehung wird von der Lehrerschaft lebhaft besprochen (Lehrervereinigung für Kunsterziehung, Ausstellung von Zeichnungen der Hamburger Schule). Am 3.3. 1905 wird beim LV eine Lesebuchkommission gegründet. Auch wird die Errichtung des Schulmuseums spruchreif.
Schulgebäude, Schulraum, Schuleinrichtung und Schulkosten
Von 1890 bis 1915 steigt die Einwohnerzahl fast auf das Dreifache: von 142.000 auf 350.000. Das Jahr 1905 ist Mitte einer Periode höchster Bauintensität auch im Schulsektor. Von 1895—1905 entstehen 13 und bis 1915 abermals 13 stattliche Schulbauten, dazu Anbauten und solide Schulbaracken (nach 1905: 9, meist 4klassig). Die Zahl der Lehrsäle (ohne Ausweich- und Fachräume) steigt von 669 (1905) auf 1084 (1916). Der erste Weltkrieg unterbricht diese Entwicklung. Bis 1942 werden nur noch Volksschulen am Stadtrand errichtet (74 Lehrsäle). Der Bombenkrieg demoliert über 1000 Räume der Volksschule vollständig oder teilweise. Nur 2 kleine Stadtrandschulen bleiben ganz erhalten. Mit den Schulbauten geht auch die Einrichtung und der Bestand an Lehr- und Lernmitteln größtenteils zugrunde.
Im Jahre 1905 sind neben den 669 Schulsälen vorhanden: 54 Lehrer-, 11 Inspektions- und 75 Ausweichzimmer, 22 stadteigene Turnhallen, 5 Festsäle (Aulen), 4 Bibliothekszimmer, 1 Schulgarten, 19 Brausebäder. An Schulgeräten werden 1905 u. a. angeschafft: 740 Rettigbänke.
Quelle: Otto Barthel, Die Schulen in Nürnberg, 1905-1960, Nürnberg 1960